Die folgenden Ausführungen bieten einen Leitfaden zur kurzfristigen und schwerpunktorientierten Aufdeckung und Ausschöpfung von Energieeinsparpotentialen unter Zugrundelegung der Kernwirkungsmechanismen der internationalen Normen ISO 50001 und ISO 50006. Die empfohlene Vorgehensweise besteht aus sechs Schritten:

  1. Erarbeitung einer SEU-Liste (Abgrenzung von wesentlichen und unwesentlichen Energieverbrauchern [SEU = Significant Energy Use = wesentlicher Energieverbraucher; Begriff aus der ISO 50001-Norm über Energiemanagementsysteme]) und Zuordnung von Verantwortlichkeiten bei allen SEUs
  2. Bei allen SEUs: Klärung der Faktoren, die Einfluss auf den Energieverbrauch haben könnten und Ermittlung der Verbräuche sowie der Werte der möglichen Einflussfaktoren (möglichst feingranuliert)
  3. Erarbeitung von Energieverbrauchsgleichungen (EnPIs [EnPI = Energy Performance Indicator (Begriff aus der ISO 50001-Norm) = Maßstab, mit dem die energiebezoge Leistung eines Prozesses, einer Anlage etc. ermittelt werden kann; i.d.R. eine Energieverbrauchsgleichung]) für alle SEUs durch Regressionsanalysen der Daten; Interpretation der Ergebnisse
  4. Erarbeitung von Verbesserungsmaßnahmen für jeden SEU im Rahmen von Brainstorming-Sitzungen, Klärung der technischen Wirkungen; danach Beschaffung von Kostenvoranschlägen
  5. Beurteilung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit der Vorschläge, Vorlage und ggf. Freigabe der Maßnahmen
  6. Etablierung eines Steuerungssystems: Aufbau einesReportings häufig auf EXCEL-Basis; Festlegung von Plan-/Zielenergieverbräuchen vor einer Geschäftsperiode und regelmäßiger Vergleich dieser Vorgaben mit tatsächlichen Energieverbräuchen bei allen SEUs während und nach einerGeschäftsperiode; Auswertung der Ergebnisse

(I) Erarbeitung einer SEU-Liste
Im ersten Schritt sollte eine „SEU-Liste“ erarbeitet werden. SEU steht dabei für „significant energy uses“ und bedeutet wesentliche Energieverbraucher. Man erfasst dafür alle relevanten energieverbrauchenden Produktionsanlagen, Prozesse, Gebäude etc. eines Unternehmens, bis etwa 85% der Gesamtenergiejahreskosten gelistet sind. Im Anschluss wird eine Reihenfolgebildung und dann eine Trennung der Tabellenzeilen in zwei Bereiche vorgenommen (bei etwa 75% der kumulierten Gesamtkosten). Die Anlagen im oberen Bereich deklariert man als SEU, denen dann Verantwortlichkeiten zugeordnet werden (vgl. Abb. 1). In der industriellen Betriebspraxis umfasst die Anzal der SEUs häufig nicht mehr als 15 Energieverbraucher.

Abb. 1: SEU-Liste

(II) Bei allen SEUs: Klärung der Faktoren, die Einfluss auf den Energieverbrauch haben könnten
Bei allen SEUs versucht man nun herauszufinden, welche Faktoren Einfluss auf den Energieverbrauch haben könnten. Diese Klärung ist erforderlich, um später Energieverbrauchsgleichungen zu generieren, die für die Steuerung der Energiekosten aber auch für das Ableiten von Verbesserungsmaßnahmen wichtig sind. Bei einer beispielhaften Getreidemühlenanlage (siehe Zeile 1 in der SEU-Liste der Abb. 1) mag angenommen worden sein, dass die Höhe des Stromeinsatzes und damit der Stromverbrauchskosten vor allem von

  • der Produktionsmenge,
  • der Kornfeuchte und
  • der Temperatur der Getreidekörner

bestimmt wird. Zu diesen Faktoren sowie auch zu den Stromverbrauchsmengen der Getreidemühlenanlage werden nun – möglicht feingranuliert – Daten erhoben, im Beispiel relativ grobe Monatsdaten, um die Übersicht für diesen Leitfaden überschaubar zu halten (vgl. Abb. 2).

 


Abb. 2: Relevante Datensätze für eine SEU-Anlage (im Beispiel eine Getreidemühle [neben der Temperatur wurden auch die Gradstunden (als Multiplikation der Temperatur mit den Betriebsstunden) erfasst, weil sie sich – anders als die Temperatur – aggregieren lassen])

(III) Erarbeitung von Energieverbrauchsgleichungen für alle SEUs
Die so ermittelten Datensätze werden nun einer Regressionsanalyse zugeführt. Sofern mehr als ein Einflussfaktor berücksichtigt werden soll (hier drei, nämlich: Produktionsmenge, Kornfeuchte und Gradstunden), kommt eine klassische EXCEL-Auswertung nicht mehr in Frage. Dann muss entweder auf Statistikprogramme ausgewichen werden oder man bedient sich der Datenanalysefunktion von MS EXCEL, die als Add-On aktiviert werden kann (allerdings nicht ganz so komfortabel wie die Auswertung mit Hilfe von Statistikprogrammen). Das Ergebnistableau der EXCEL-Datenanalyse für das vorliegende Beispiel ist in Abb. 3 wiedergegeben.

 

Abb. 3: Ergebnis der Regressionsanalyse der Getreidemühlen-Datensätze

Von besonderer Bedeutung für die Herleitung der Energieverbrauchsgleichung, die nach der ISO 50001-Norm Energy Performance Indicator (EnPI) bezeichnet wird, sind die Korrelationskoeffizienten („Coefficients“) und der adjusierte R2-Wert, die in Abb. 3 rot hervorgehoben wurden (zur Absicherung der Validität einer Energieverbrauchsgleichung ist die Prüfung verschiedener Testwerte auch noch erforderlich; hiervon soll aber in diesem Leitfaden abgesehen werden). Mit den ermittelten Koeffizienten lässt sich die Gleichung wir folgt aufbauen:

Formel 1: Beispielhafte Energieverbrauchsgleichung als Energy Performance Indicator (EnPI) für eine Getreidemühlenanlage

(VI) Erarbeitung von Verbesserungsmaßnahmen für jeden SEU
Als Nächstes wird auf der Grundlage des EnPI die Anlage bzw. der Prozess einer genauen Prüfung im Rahmen einer Brainstorming-Sitzung unterzogen. Ziel ist, technische Ideen zur Effizienzerhöhung zu entwickeln. Im vorliegenden Beispiel hat man etwa festgestellt, dass ein Großteil des Energiebedarfs der Getreidemühlenanlage darauf zurückzuführen ist, dass das Mahlgut drei Mal über eine Höhe von neun Metern gefördert werden muss. Man entwickelte die Idee, zwei Doppelmahlwalzen zusätzlich zur vorhandenen zu installieren, die direkt hintereinander angeordnet werden, sodass die Förderung entfallen kann (siehe Abb. 4). Eine technische Analyse zeigte auf, dass sich auf diese Weise der Jahresenergiebedarf von zuvor etwa 4 000 MWh um 1 300 MWh reduzieren ließe.

 

Abb. 4: Beispiel für eine Verbesserungsidee

Eine solche Verbesserungsidee wäre nun umfassend zu dokumentieren, wobei insbesondere die Energieeinsparungen bei gegebener Auslastung (Baseline) und die entstehenden Investitionsauszahlungen und zusätzlichen Betriebskosten (i.d.R. aus Kostenvoranschlägen) festzuhalten sind.

(V) Beurteilung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit und ggf. Freigabe
Die voraussichtlichen Investitionsauszahlungen (plus möglicher zusätzlicher Betriebs-/Wartungs-/Reparaturkosten) und die Jahresenergieeinsparungen sind im darauf folgenden Schritt dann Basis für die Ermittlung der eventuellen wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit der angedachten Maßnahme. Hierbei sollte tunlichst auf die Berechnung von Amortisationszeiten verzichtet werden, da die Amortisationszeitrechnungmethode unvollständig rechnet (alle positiven Wirkungen nach Erreichen der Amortisationszeit bleiben bei dieser Methode unberücksichtigt) und speziell bei Effizienzinvestitionen – die üblicherweise über einen langen Zeitraum wirken – Fehlentscheidungen herbeiführen kann. Als adäquate Methode hat sich die Kapitalwertberechnung erwiesen, die auch Basis der europäischen Norm DIN EN 17463 „Bewertung von energiebezogenen Investitionen“ ist und bei Berechnungen dieser Art angewendet werden sollte. Ein Berechnungsergebnis für das vorliegende Getreidemühlenbeispiel kann Abb. 5 entnommen werden.

 
Abb. 5: Kapitalwertberechnung für die Effizienzmaßnahme der Getreidemühlenanlage

Im Beispiel wurde angenommen, dass die Investition vollständig aus Eigenmitteln finanziert werden soll (also keine Kreditfinanzierung) und der interne Zinsfuß der besten Alternativanlagemöglichkeit für die Eigenmittel bei 6% läge. Ferner ist davon ausgegangen worden, dass die Jahresenergiepreissteigerung bei etwa 5% und die für Wartungs- und Reparaturkosten bei etwa 2% liegt. Die internen Fachleute gehen davon aus, dass die Anlage eine Restlebensdauer von 15 Jahren hat. Unter diesen Annahmen ergibt sich im Beispielfall ein Kapitalwert von knapp 2 mio. € und drückt aus, dass über eine Effektivverzinsung von 6% hinaus über die 15 Jahre hinweg ein Überschuss von 2 mio. € (gegenüber der möglichen Alternativanlage) erwirtschaftet wird. Die Investition ist also 2 mio. € „besser“ als die beste Alternativanlage und damit eindeutig vorteilhaft.

(VI) Etablierung eines Steuerungssystems
Sofern eine Effizienzverbesserungsidee – wie die Getreidemühlenanlage – ökonomisch positiv bewertet, danach vorgelegt, freigegeben und schließlich umgesetzt wird, ist im Anschluß darauf hinzuwirken, dass die Maßnahme auch die geplante Wirkung entfaltet. Hierzu sollten Steuerungsmechanismen etabliert werden, indem man zunächst je Maßnahme den EnPI des betrachteten Prozesses um Kosteninformationen ergänzt, Zielwerte fixiert und im laufenden Betrieb regelmäßig Vorjahres-, Soll- und Istkosten miteinander vergleicht (vgl. Abb. 6).

Abb. 6: Etablierung von Energiekosten-Steuerungsmechanismen


Die Istkosten werden regelmäßig dadurch ermittelt, indem man die gemessenen Verbräuche mit den spezifischen Energiepreisen (hier 0,14 €/kWh Elektrizität) multipliziert (im Beispiel: 440 000 €). Die Sollkosten ergeben sich demgegenüber durch Auflösung der Energieverbrauchsgleichung mit den aktuellen Werten der Einflussfaktoren als Variablenwerte (im Beispiel: 593 741 €), sodass sich im Beispiel eine Soll-Ist-Differenz in Höhe von 153 741 € ergibt. Das ist dann auch – im Sprachjargon der ISO 50001 – die monetarisierte „Verbesserung der energiebezogenen Leistung“, also die Verbesserung im Vergleich zum normalisierten Energieverbrauch der Baselineperiode (i.d.R. Vorperiode). Ein weiterer Kostenvergleich wird dann üblicher Weise auch noch vorgenommen, nämlich jener zwischen den Istkosten und dem Zielwert, der sich aus dem Baseline-Wert (im Beispiel: 593 741 €) minus der Zielverbesserung (hier 38%) ergibt, im Beispiel: 368 120 €. Die Abweichungen (Leistungsverbesserung und Zielerreichung) werden regelmäßig ermittelt und führen im Fall von unbefriedigenden Ergebnissen zu Abhilfemaßnahmen.

Als hilfreich für ein regelmäßiges Monitoring haben sich EnPI-Cockpits erwiesen, die für jeden SEU tabellerisch auf leicht verständliche Weise die Entwicklungen der Energieverbräuche und -kosten darstellen (vgl. Abb. 7).

 

 Abb. 7: EnPi-Cockpit für Getreidemühlenbeispiel